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05302 § 2 MPAMIV Ergänzende Begriffsbestimmungen

Die MPAMIV wendet sich an alle Personen, die Medizinprodukte beruflich oder gewerblich betreiben oder anwenden und denen von Seiten der Patienten schwerwiegende Beschwerden mitgeteilt werden, die möglicherweise im Zusammenhang mit einem Medizinprodukt stehen, mit dem der Patient behandelt wurde.
§ 2 MPAMIV geht in dem Zusammenhang auf den Begriff des „mutmaßlich schwerwiegenden Vorkommnisses” ein und definiert ihn. Der Beitrag interpretiert die Definition und erklärt den Begriff auch anhand der Begriffe „Vorkommnis” und „schwerwiegendes Vorkommnis”.
von:
§ 2 MPAMIV
Ergänzend zu Artikel 2 der Verordnung (EU) 2017/745 und Artikel 2 der Verordnung (EU) 2017/746 bezeichnet im Sinne dieser Rechtsverordnung der Ausdruck „mutmaßliches schwerwiegendes Vorkommnis” ein Vorkommnis, bei dem nicht ausgeschlossen ist, dass es auf einer unerwünschten Nebenwirkung eines Produktes, auf einer Fehlfunktion, einer Verschlechterung der Eigenschaften oder der Leistung eines Produktes, einschließlich Anwendungsfehlern aufgrund ergonomischer Merkmale oder einer Unzulänglichkeit der vom Hersteller bereitgestellten Informationen beruht und das direkt oder indirekt eine der nachstehenden Folgen hatte oder hätte haben können:
1.
den Tod eines Patienten, Anwenders oder einer anderen Person,
2.
die vorübergehende oder dauerhafte schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustands eines Patienten, Anwenders oder einer anderen Person oder
3.
eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Gesundheit.

1 Einleitung

Im Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit „Entwurf einer Verordnung zur Anpassung des Medizinprodukterechts an die Verordnung (EU) 2017/745 und die Verordnung (EU) 2017/746 (Medizinprodukte-EU-Anpassungsverordnung – MPEUAnpV)” vom 28.02.2020 wird dazu folgendes ausgeführt:
„Ergänzend zur Begriffsbestimmung des „schwerwiegenden Vorkommnisses” in Artikel 2 Nummer 65 der Verordnung (EU) 2017/745 und Artikel 2 Nummer 68 der Verordnung (EU) 2017/746 bedarf es einer Bestimmung des Begriffes „mutmaßliches schwerwiegendes Vorkommnis” [...] Die Meldeverpflichtungen nach dieser Verordnung gelten dabei erst recht bei „schwerwiegenden Vorkommnissen”. „Schwerwiegende Vorkommnisse” sind von dem Begriff „mutmaßliches schwerwiegendes Vorkommnis” erfasst.
Artikel 87 Absatz 10 MDR und Artikel 82 Absatz 10 IVDR regeln: „Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen, wie z. B. die Organisation gezielter Informationskampagnen, um die Angehörigen der Gesundheitsberufe, Anwender und Patienten dazu zu ermutigen und ihnen zu ermöglichen, den zuständigen Behörden mutmaßliche schwerwiegende Vorkommnisse gemäß Absatz 1 Buchstabe a zu melden.
Die zuständigen Behörden zeichnen die Meldungen, die sie von Angehörigen der Gesundheitsberufe, Anwendern und Patienten erhalten, zentral auf nationaler Ebene auf.”
MDR und IVDR
Der Begriff „mutmaßliche schwerwiegende Vorkommnisse” ist in den Legaldefinitionen der Artikel 2 MDR und IVDR nicht enthalten. Dort sind lediglich
Vorkommnisse” in Artikel 2 Nr. 64 MDR und Artikel 2 Nr. 67 IVDR und
schwerwiegende Vorkommnisse” in Artikel 2 Nr. 65 MDR und Artikel 2 Nr. 68 IVDR
definiert.
„Vorkommnis”
Vorkommnis im Sinne der MDR bezeichnet „eine Fehlfunktion oder Verschlechterung der Eigenschaften oder Leistung eines bereits auf dem Markt bereitgestellten Produkts, einschließlich Anwendungsfehlern aufgrund ergonomischer Merkmale, sowie eine Unzulänglichkeit der vom Hersteller bereitgestellten Informationen und eine unerwünschte Nebenwirkung”.
Vorkommnis im Sinne der IVDR bezeichnet „eine Fehlfunktion oder Verschlechterung der Eigenschaften oder Leistung eines bereits auf dem Markt bereitgestellten Produkts, einschließlich Anwendungsfehlern aufgrund ergonomischer Merkmale, sowie eine Unzulänglichkeit der vom Hersteller bereitgestellten Informationen oder einen Schaden infolge einer medizinischen Entscheidung oder einer Maßnahme, die auf der Grundlage der von dem Produkt gelieferten Informationen oder Ergebnisse getroffen bzw. nicht getroffen wurde”.
„Schwerwiegendes Vorkommnis”
Ein schwerwiegendes Vorkommnis bezeichnet im Sinne der MDR und der IVDR „ein Vorkommnis, das direkt oder indirekt eine der nachstehenden Folgen hatte, hätte haben können oder haben könnte:
a)
den Tod eines Patienten, Anwenders oder einer anderen Person,
b)
die vorübergehende oder dauerhafte schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustands eines Patienten, Anwenders oder anderer Personen,
c)
eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Gesundheit”
Da in der MDR und in der IVDR Betreiber, Anwender und Patienten nicht als meldepflichtige Personen aufgenommen sind, weil dies nicht in die europäische Gesetzgebungskompetenz fällt, ist in Artikel 87 Absatz 10 MDR und in Artikel 82 Absatz 10 IVDR gefordert, dass die Mitgliedsstaaten insoweit entsprechende Maßnahmen zu ergreifen haben und dort taucht dann auch der Begriff „mutmaßliche schwerwiegende Vorkommnisse” erstmals auf, der im europäischen Recht nicht definiert wird. Der nationale Verordnungsgeber hat deshalb in der MPAMIV diesen Begriff zusätzlich definiert.
Reaktion der Verbände
SPECTARIS kritisierte im Rahmen des Stellungnahmeverfahrens zur Verordnung, dass die zusätzliche Definition eines „mutmaßlichen schwerwiegenden Vorkommnisses” eine Ausdehnung gegenüber dem Begriff des „schwerwiegenden Vorkommnisses” gemäß MDR bedeutet. Dieses „bezeichnet ein Vorkommnis, das direkt oder indirekt eine der nachstehenden Folgen hatte, hätte haben können oder haben könnte […]”. Wie SPECTARIS anmerkte, ist der Beweis, dass etwas nicht ausgeschlossen werden kann, schwer zu führen und bringe eine Menge „belangloser Meldungen” mit sich. [1]
Auch die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) hält den Begriff für zu weitgehend und schlägt folgendes vor: „Wir schlagen deshalb vor, in der Begründung zu § 3 (S. 33) „Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein nach dieser Verordnung Meldepflichtiger über die erforderliche Fachkompetenz verfügt, ein schwerwiegendes Vorkommnis eindeutig festzustellen. So genügt es, wenn bestimmte Anzeichen für das Vorliegen eines „schwerwiegenden Vorkommnisses” sprechen” nach „sprechen” zu ergänzen:” – im Sinne eines begründeten Verdachts””. [2]
Der BV-Med hatte im Anhörungsverfahren einen Änderungsvorschlag gemacht: „Ergänzend zu Artikel 2 der Verordnung (EU) 2017/745 bezeichnet im Sinne dieser Rechtsverordnung der Ausdruck „mutmaßliches schwerwiegendes Vorkommnis” ein Ereignis bei dem der begründete Verdacht besteht, dass dies ein schwerwiegendes Vorkommnis im Sinne des MDR Art. 2 Nr. 65 darstellt. Davon nicht erfasst sind erwartete Nebenwirkungen, die in den Produktinformationen eindeutig dokumentiert sind. [3]
Im Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit „Entwurf einer Verordnung zur Anpassung des Medizinprodukterechts an die Verordnung (EU) 2017/745 und die Verordnung (EU) 2017/746 (Medizinprodukte-EU-Anpassungsverordnung – MPEUAnpV)” vom 28.02.2020 wird zu Nr. 1 des § 2 MPAMIV ausgeführt:
„Beim Tod eines Patienten, Anwenders oder einer anderen Person, der direkt oder indirekt auf der Verwendung eines Medizinproduktes beruht, liegt ein „mutmaßlich schwerwiegendes Vorkommnis” vor.”
„schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustands”
Im gleichen Referentenentwurf wird zu Nr. 2 der § 2 MPAMIV ausgeführt:
„Eine „schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustands” liegt vor, wenn bei einem Patienten, Anwender oder einer anderen Person eine der nachstehenden Folgen, die in Artikel 2 Nummer 58 Buchstabe b der Verordnung (EU) 2017/745 und Artikel 2 Nummer 61 Buchstabe c der Verordnung (EU) 2017/746 aufgeführt sind, eingetreten sind:
- lebensbedrohliche Erkrankung oder Verletzung,
- bleibender Körperschaden oder dauerhafte Beeinträchtigung einer Körperfunktion,
- stationäre Behandlung oder Verlängerung der stationären Behandlung des Patienten,
- medizinische oder chirurgische Intervention zur Verhinderung einer lebensbedrohlichen Erkrankung oder Verletzung oder eines bleibenden Körperschadens oder einer dauerhaften Beeinträchtigung einer Körperfunktion,
- chronische Erkrankung,
- Fötale Gefährdung, Tod des Fötus oder kongenitale körperliche oder geistige Beeinträchtigungen oder Geburtsfehler.”
„schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Gesundheit”
Und zu Nr. 3 des § 2 MPAMIV wird weitergehend ausgeführt:
„Der Begriff „schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Gesundheit” bezeichnet entsprechend Artikel 2 Nummer 66 der Verordnung (EU) 2017/745 und Artikel 2 Nummer 69 der Verordnung (EU) 2017/746 ein Ereignis, das das unmittelbare Risiko des Todes, einer schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustands einer Person oder einer schweren Erkrankung, die sofortige Abhilfemaßnahmen erfordert, bergen könnte, und das eine signifikante Morbidität oder Mortalität bei Menschen verursachen kann oder das für einen bestimmten Ort und eine bestimmte Zeit ungewöhnlich oder unerwartet ist.”
"mutmaßlichschwerwiegendes Vorkommnis"
Im Sinne der MPAMIV ist ein „mutmaßlich schwerwiegendes Vorkommnis” ein medizinisches Ereignis mit schwerwiegenden Folgen für einen Patienten, einen Anwender oder eine andere Person, bei dem der Meldepflichtige mutmaßt, es könne ein schwerwiegendes Vorkommnis sein, also ein Ereignis, das durch ein fehlerhaftes Medizinprodukt verursacht sein könnte (s. Abschn. 4. „Mutmaßliches schwerwiegendes Vorkommnis”).
Beispiel: Während der Ausfall eines Beatmungs- bzw. Narkosegerätes grundsätzlich immer die Möglichkeit beinhaltet, dass durch das Aussetzen der in der Regel lebenserhaltenden Beatmung, eine Patientengefährdung eintritt – es liegt dann immer ein meldepflichtiges „echtes” schwerwiegendes Vorkommnis vor, sobald der Ausfall des Gerätes durch einen Gerätefehler hervorgerufen wird – ist ein mechanischer Schaden oder ein Defizit in der Kennzeichnung/Gebrauchsanweisung eventuell nur ein Vorkommnis, das erst dann zu einem meldepflichtigen Vorkommnis führen könnte, wenn zusätzliche Anhaltspunkte für mögliche schwerwiegende Folgen sprechen.

2 Vorkommnis

Die Vorkommnisdefinition ist ein zentraler Begriff für die Vigilanzvorschriften der MDR, IVDR und des MPDG in Verbindung mit der MPAMIV, die insbesondere wegen der Verknüpfung mit etwaigen Folgen und der daraus resultierenden Meldepflicht (s. Kap. 05303 „Meldepflichten”) ausführlich analysiert und in ihrer Bedeutung möglichst genau erschlossen werden muss.
Der für die Praxis relevante Begriff des „mutmaßlichen schwerwiegenden Vorkommnisses” in der MPAMIV geht dabei von den Begrifflichkeiten der MDR, der IVDR und des MPDG aus.
Dabei geht es beim Vorkommnisbegriff im Wesentlichen um den Begriff „Fehlfunktion”. Allerdings sind auch Begriffe wie „Verschlechterung der Eigenschaften” oder „Leistung eines bereits auf dem Markt bereitgestellten Produkts und Anwendungsfehler aufgrund ergonomischer Merkmale” sowie eine „Unzulänglichkeit der vom Hersteller bereitgestellten Informationen” aufgenommen. Der Begriff Vorkommnis selbst enthält keine Auswirkungen auf Personen.
„Schwerwiegende Vorkommnisse”
Im Rahmen der Kriterien für schwerwiegende Vorkommnisse wird auf Auswirkungen auf Personen abgehoben:
einerseits wird auf eine „indirekt oder direkt”, also mittelbar oder unmittelbar eintretende Wirkung abgestellt.
Andererseits werden bei den Folgen neben dem tatsächlichen Eintrittsfall „hatte” auch die Fälle „hätte haben können” oder „haben könnte” abgestellt. (so MDR und IVDR), während § 2 MPAMIV im Rahmen des mutmaßlichen schwerwiegenden Vorkommnisses nur die Begriffe „Folgen hatte oder hätte haben können” erwähnt. Das erklärt sich daraus, dass sich ein mutmaßliches schwerwiegendes Vorkommnis über ein wahrgenommenes Problem (hatte oder hätte haben können) manifestiert, nicht aber über potenzielle Probleme, die bei einem fehlerhaften Medizinprodukt nur möglicherweise auftreten würden.
Ein schwerwiegendes Vorkommnis im Sinne von Artikel § 2 Nr. 65 MDR und von Artikel 2 Nr. 68 IVDR ist ein Ereignis, bei dem drei Kriterien gleichzeitig erfüllt sein müssen [4]:
Ein für den Betroffenen eingetretenes Ereignis, das im physikalischen Sinn durch Ort und Zeit charakterisiert wird, ist eingetreten oder hätte eintreten können.
Es besteht ein tatsächlicher oder möglicher kausaler Zusammenhang zwischen dem Ereignis und einem vermuteten oder existierenden Fehler des Medizinprodukts (Produktfehler) im weiteren Sinne.
Das Ereignis hat (hätte) unmittelbar oder mittelbar zum Tod oder zu einer tatsächlich eingetretenen oder möglichen schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustands eines Patienten, eines Anwenders oder einer dritten Person geführt bzw. führen können.
Stellt ein Hersteller fest, dass diese drei Kriterien gleichzeitig erfüllt sind, so handelt es sich im Sinne der MDR, IVDR und dem MPDG um ein schwerwiegendes Vorkommnis, das der Hersteller der zuständigen Bundesoberbehörde zu melden und zu untersuchen hat. Die gleichen Prüfvorgänge haben Betreiber und Anwender sowie Ärzte und Zahnärzte, die allerdings nur anhand von Anhaltspunkten mutmaßen können (s. Abschn. 4. „Mutmaßliches schwerwiegendes Vorkommnis”).

2.1 Pflichten der Hersteller

Mit der MDR wurden in Anhang I Kapitel 1 Absatz 5 u. a. die Allgemeinen Anforderungen zur weitestgehenden Verringerung der durch Anwenderfehler bedingten Risiken aufgrund der ergonomischen Merkmale des Produkts wie folgt formuliert:

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