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02088 Artikel 88 MDR: Meldung von Trends

Artikel 88 der Verordnung (EU) Nr. 2017/745 (MDR) regelt, dass der Hersteller in seinem Plan zur Überwachung nach dem Inverkehrbringen ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung von Trends bei nicht schwerwiegenden Vorkommnissen legen soll. Trends werden in Artikel 88 definiert als „statistisch signifikanter Anstieg der Häufigkeit oder des Schweregrades nicht schwerwiegender Vorkommnisse oder erwarteter unerwünschter Nebenwirkungen, die eine erhebliche Auswirkung auf die Nutzen-Risiko-Analyse haben könnten”.
Zur gezielten Beobachtung nicht schwerwiegender Vorkommnisse soll der Hersteller in seinem Plan entsprechende Methoden zur Trenderkennung beschreiben. Sobald Trends erkannt werden, soll der Hersteller diese über die Eudamed-Datenbank melden.
Des Weiteren wird hier auch festgelegt, wie die zuständigen Behörden mit Trends, die ihnen vom Hersteller gemeldet werden, umgehen sollen. Dazu gehören die zusätzliche Analyse und Bewertung über die von Herstellern gemeldeten Trends und ggf. die Ableitung von Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und der Patientensicherheit sowie Informationspflichten gegenüber weiteren Behörden, der Benannten Stelle des Herstellers und der Kommission.
Dieser Beitrag beleuchtet Aspekte und Ansätze möglicher Vorgehensweisen zur Erfüllung der Anforderungen aus Artikel 88 MDR.
von:
Artikel 88 MDR
(1) Die Hersteller melden über das in Artikel 92 genannte elektronische System jeden statistisch signifikanten Anstieg der Häufigkeit oder des Schweregrades nicht schwerwiegender Vorkommnisse oder erwarteter unerwünschter Nebenwirkungen, die eine erhebliche Auswirkung auf die Nutzen-Risiko-Analyse gemäß Anhang I Abschnitte 1 und 8 haben könnten und die zu Risiken für die Gesundheit oder Sicherheit der Patienten, Anwender oder anderer Personen führen oder führen könnten, die in Anbetracht des beabsichtigten Nutzens nicht akzeptabel sind. Ob ein Anstieg signifikant ist, bestimmt sich aus dem Vergleich mit der Häufigkeit oder Schwere solcher Vorkommnisse im Zusammenhang mit dem betreffenden Produkt oder der betreffenden Kategorie oder Gruppe von Produkten, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu erwarten und in der technischen Dokumentation und den Produktinformationen angegeben ist.
Der Hersteller legt im Rahmen des Plans zur Überwachung nach dem Inverkehrbringen gemäß Artikel 84 fest, wie die Vorkommnisse gemäß Unterabsatz 1 zu behandeln sind und welche Methodik angewendet wird, um jeden statistisch signifikanten Anstieg der Häufigkeit oder des Schweregrades dieser Vorkommnisse festzustellen; ferner legt er darin den Beobachtungszeitraum fest.
(2) Die zuständigen Behörden können ihre eigenen Bewertungen der Meldung von Trends gemäß Absatz 1 vornehmen und von dem Hersteller verlangen, geeignete Maßnahmen im Einklang mit dieser Verordnung zu ergreifen, um den Schutz der öffentlichen Gesundheit und die Patientensicherheit zu gewährleisten. Jede zuständige Behörde unterrichtet die Kommission, die anderen zuständigen Behörden und die Benannte Stelle, die die Bescheinigung ausgestellt hat, über die Ergebnisse ihrer Bewertung und die ergriffenen Maßnahmen.
Konsolidierte MDR-Version vom 24.04.2020

1 Einleitung

In Artikel 88 MDR wird verlangt, dass Hersteller Trends (einen statistisch signifikanten Anstieg der Häufigkeit oder des Schweregrades) von nicht schwerwiegenden Vorkommnissen melden sollen, die eine erhebliche Auswirkung auf die Nutzen-Risiko-Analyse haben könnten.
Unter Berücksichtigung der Anforderungen an die Überwachung nach dem Inverkehrbringen gemäß Artikel 84 MDR, müssen Hersteller nicht nur Trends gemäß Artikel 88 MDR identifizieren und melden, sondern auch die Methoden und Protokolle zur Ermittlung dieser Trends in den Plan zur Überwachung nach dem Inverkehrbringen (PMS-Plan) aufnehmen.
In diesem Zusammenhang ergeben sich diverse Fragen, die die MDR nicht exakt beantwortet, die aber der Hersteller für sich und seine Produktart selbst beantworten und entsprechende Festlegungen treffen muss. So ist aus den Anforderungen der MDR zunächst nicht klar abzuleiten, was eigentlich ein statistisch signifikanter Anstieg ist, wann sich also quantitativ ein Trend zeigt. Ebenso ist unklar, was eine erhebliche Auswirkung auf die Nutzen-Risiko-Analyse ist.
Die Erwartung an eine Trendberichterstattung hat es bereits zu Zeiten der MDD/AIMD gegeben, denn die Forderung, Trends zu beobachten und zu melden war bereits vor mehr als 10 Jahren in der Leitlinie MEDDEV 2.12-1 „Guideline on a medical devices vigilance system” und auch im Dokument GHTF/SG2/N54R8 „Medical Devices Post Market Surveillance: Global Guidance for Adverse Event Reporting for Medical Devices der GHTF zu finden (die GHTF – Global harmonisation task force – ist der Vorgänger der IMDRF). Darin sind bereits einige nützliche Hinweis zur Umsetzung der heutigen Anforderung enthalten, wie auch Verweise auf Dokumente, die statistische Methoden enthalten.
Außerdem war auch bereits ein „Trend Report Form” in einer Anlage der MEDDEV 2 12-1 enthalten, mit dem der Hersteller die Meldung von Trends an die zuständigen Behörden vornehmen sollte.

2 Bedeutung „Trend” und „statistisch signifikant”

In Artikel 2 MDR findet sich keine Definition dafür, was ein Trend ist. Daher sollte die indirekte Begriffsbestimmung in Artikel 88 MDR selbst herangezogen werden: Danach ist ein Trend als „statistisch signifikanter Anstieg der Häufigkeit oder des Schweregrades von nicht schwerwiegenden Vorkommnissen” definiert.
Für den Hersteller relevant ist die Anforderung von Artikel 88 Absatz 1 MDR, nur dann Trends zu melden, wenn die dahinter liegenden Daten einerseits „statistisch signifikant” sind und gleichzeitig auch eine erhebliche Auswirkung auf die Nutzen-Risiko-Analyse haben.
Aus der Forderung, dass die Meldepflicht nur bei einem „statistisch signifikanten Anstieg” besteht, ergibt sich zwangsläufig, dass statistische Methoden auf eine Menge von Daten, in diesem Fall auf „nicht schwerwiegende Vorkommnisse und erwartete Nebenwirkungen”, angewendet werden müssen, um Signifikanz nachzuweisen – oder auch auszuschließen.

3 Welche Daten sind auszuwerten?

Die Hersteller sollen die nicht schwerwiegenden Vorkommnisse und erwarteten Nebenwirkungen hinsichtlich ihrer Fallzahlentwicklung über einen definierten Beobachtungszeitraum (s. Abschn. 4) analysieren, um festzustellen, ob die Fallzahlentwicklung statistisch signifikant erhöht ist, und ob eine eventuell erhöhte Fallzahl eine erhebliche Auswirkung auf die Nutzen-Risiko-Analyse und damit die Patientensicherheit haben könnten.
Liest der Hersteller in diesem Zusammenhang die Definition des Vorkommisses in Artikel 2 MDR
„64. „Vorkommnis” bezeichnet eine Fehlfunktion oder Verschlechterung der Eigenschaften oder Leistung eines bereits auf dem Markt bereitgestellten Produkts, einschließlich Anwendungsfehlern aufgrund ergonomischer Merkmale, sowie eine Unzulänglichkeit der vom Hersteller bereitgestellten Informationen und eine unerwünschte Nebenwirkung;”
wird klar, dass der Hersteller für das Trend-Reporting die Vorkommnisse im Markt berücksichtigen muss, die einen Patientenschaden (oder Schaden für Anwender/Dritte) hervorgerufen haben oder hervorrufen könnten, deren Folgen aber geringfügiger sind als die schwerwiegenden Folgen, die unter dem Begriff 65. „schwerwiegendes Vorkommnis” genannt sind:
„65. „schwerwiegendes Vorkommnis” bezeichnet ein Vorkommnis, das direkt oder indirekt eine der nachstehenden Folgen hatte, hätte haben können oder haben könnte:
a) den Tod eines Patienten, Anwenders oder einer anderen Person,
b) die vorübergehende oder dauerhafte schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustands eines Patienten, Anwenders oder anderer Personen,
c) eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Gesundheit,”
Unter den Vorkommnisbegriff (oder den des schwerwiegenden Vorkommnisses) fallen somit nicht alle Reklamationen und nicht jede Kundenrückmeldung (Feedback) von Anwendern, Patienten oder Dritten.
Grundsätzlich sind alle Rückmeldungen vom Markt zu bewerten, auch wenn es sich nicht um Vorkommnisse (mit möglichem) Patientenschaden handelt. Aus der Bewertung aller Rückmeldungen hat der Hersteller in jedem Fall einen Zusatznutzen, nämlich, dass er mit der Analyse aller Daten beispielsweise auch Rückschlüsse auf Produktionsprozessergebnisse ziehen kann.
Diese komplette Datenanalyse ist im Rahmen des Qualitätsmanagements ohnehin erforderlich und dient damit der Erfüllung der Anforderungen an die Datenanalyse (s. Kap. 02010, 9: Artikel 10 Abs. 9 m) MDR bzw. Abschnitt 8.4 „Datenanalyse” der DIN EN ISO 13485). Die DIN EN ISO 13485 fordert in Abschnitt 8.4 eine Datenanalyse sowie „[...] Verfahren zur Ermittlung, Erfassung und Analyse geeigneter Daten dokumentieren”.
Im Rahmen der DIN EN ISO 13485 sollen mindestens Daten aus „Rückmeldungen” gesammelt werden, aber auch Daten zur Messung der Eignung und Wirksamkeit – „Prozess- und Produktmerkmale und deren Trends, [...]” – erhoben werden. Der Abschnitt 8.4 der Norm fordert zusätzlich die „Ermittlung der geeigneten Methoden [...], einschließlich statistischer Methoden und den Umfang ihrer Anwendung.
Zu den Rückmeldungen, die nicht die Begriffsbestimmung eines Vorkommnisses erfüllen, zählen z. B. auch optische Lackschäden an Gerätegehäusen und verknickte Umverpackungen von unsterilen Produkten sowie Fehlteile bei der Lieferung und vieles mehr.
Je nachdem, wie groß die Menge der zurück gemeldeten Daten ist, empfiehlt es sich hier für jedes Produkt/jede Produktgruppe eine Clusterung vorzunehmen, bei der zwischen Vorkommnissen (inkl. schwerwiegenden Vorkommnissen) und sonstigen Rückmeldungen unterschieden wird.
Bei den Vorkommnissen könnte eine Untergruppenbildung danach vorgenommen werden, die sich an der Begriffsdefinition für „Vorkommnis” orientiert:
Fehlfunktion
Verschlechterung der Eigenschaften oder Leistung
Anwendungsfehlern (aufgrund ergonomischer Merkmale)
Unzulänglichkeit der vom Hersteller bereitgestellten Informationen
Unerwünschte Nebenwirkungen
Separiert man die schwerwiegenden Vorkommnisse aus diesen Datensätzen, verbleiben in dieser Gruppe die nicht-schwerwiegenden Vorkommnisse, die gemäß Artikel 88 MDR der Beobachtung auf Trends unterliegen.
Eine Unzulänglichkeit in den vom Hersteller bereitgestellten Informationen kann ein formaler Fehler sein und muss nicht zwangsweise zu einem Schaden am Patienten, Anwendern oder Dritten führen. Siehe auch Abschnitt 5.2.

4 Beobachtungszeitraum

Für den Beobachtungszeitraum sollte generell eine „rollierende” Darstellung gewählt werden, der Zeitraum der Beobachtung auf Trends kann dabei unterschiedlich sein.

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