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02022 Artikel 22 MDR: Systeme und Behandlungseinheiten

Artikel 22 MDR ist die zentrale Regelung für Unternehmen, die als sogenannte Ersteller (privilegierter) Systeme oder Behandlungseinheiten agieren. Typischerweise sind das z. B. zusammen steril verpackte Medizinprodukte zum Einsatz im OP-Saal, wie Abdecktücher, Handschuhe, Tupfer, Zangen und auch chirurgische Instrumente.
Der Beitrag führt Schritt für Schritt durch die Voraussetzungen, die von der Europäischen Medizinprodukteverordnung an die Erstellung und Inverkehrbringung von solchen „Gesamtpaketen” gefordert werden.
von:
Artikel 22 MDR:
(1)
Natürliche oder juristische Personen, die Produkte mit einer CE-Kennzeichnung mit folgenden anderen Medizin- oder sonstigen Produkten in einer mit der Zweckbestimmung der Medizin- oder sonstigen Produkte vereinbaren Weise und innerhalb der vom Hersteller vorgesehenen Anwendungsbeschränkungen kombinieren, um sie in Form eines Systems oder einer Behandlungseinheit in Verkehr zu bringen, müssen eine Erklärung abgeben:
a)
sonstige Produkte mit CE-Kennzeichnung;
b)
In-vitro-Diagnostika mit CE-Kennzeichnung gemäß der Verordnung (EU) 2017/746;
c)
sonstige Produkte, die den für sie geltenden Rechtsvorschriften entsprechen, nur dann, wenn sie im Rahmen eines medizinischen Verfahrens verwendet werden oder wenn ihr Vorhandensein im System oder in der Behandlungseinheit anderweitig gerechtfertigt ist.
(2)
In der Erklärung gemäß Absatz 1 gibt die betreffende natürliche oder juristische Person an, dass sie
a)
die gegenseitige Vereinbarkeit der Medizin- und gegebenenfalls sonstigen Produkte entsprechend den Hinweisen der Hersteller geprüft und ihre Tätigkeiten entsprechend diesen Hinweisen durchgeführt hat,
b)
das System oder die Behandlungseinheit verpackt und die einschlägigen Benutzerhinweise angegeben hat, unter Einbeziehung der Informationen, die vom Hersteller der Medizin- und sonstigen zusammengestellten Produkte bereitzustellen sind,
c)
die Zusammenstellung von Medizin- und gegebenenfalls sonstigen Produkten zu einem System oder einer Behandlungseinheit unter Anwendung geeigneter Methoden der internen Überwachung, Überprüfung und Validierung vorgenommen hat.
(3)
Jede natürliche oder juristische Person, die Systeme oder Behandlungseinheiten gemäß Absatz 1 für ihr Inverkehrbringen sterilisiert, wendet wahlweise eines der Verfahren gemäß Anhang IX oder das Verfahren gemäß Anhang XI Teil A an. Die Anwendung dieser Verfahren und die Beteiligung der Benannten Stelle sind auf die Aspekte des Sterilisationsverfahrens beschränkt, die der Gewährleistung der Sterilität des Produkts bis zur Öffnung oder Beschädigung der Verpackung dienen. Die natürliche oder juristische Person gibt eine Erklärung ab, aus der hervorgeht, dass die Sterilisation gemäß den Anweisungen des Herstellers erfolgt ist.
(4)
Enthält das System oder die Behandlungseinheit Produkte, die keine CE-Kennzeichnung tragen, oder ist die gewählte Kombination von Produkten nicht mit deren ursprünglicher Zweckbestimmung vereinbar oder wurde die Sterilisation nicht gemäß den Anweisungen des Herstellers durchgeführt, so wird das System oder die Behandlungseinheit als eigenständiges Produkt behandelt und dem einschlägigen Konformitätsbewertungsverfahren gemäß Artikel 52 unterzogen. Die natürliche oder juristische Person ist den für die Hersteller geltenden Pflichten unterworfen.
(5)
Die in Absatz 1 des vorliegenden Artikels genannten Systeme oder Behandlungseinheiten selber werden nicht mit einer zusätzlichen CE-Kennzeichnung versehen; sie tragen jedoch den Namen, den eingetragenen Handelsnamen oder die eingetragene Handelsmarke der in den Absätzen 1 und 3 des vorliegenden Artikels genannten Person sowie die Anschrift, unter der diese Person zu erreichen ist, so dass der tatsächliche Standort der Person ermittelt werden kann. Systemen oder Behandlungseinheiten liegen die in Anhang I Abschnitt 23 genannten Informationen bei. Die Erklärung gemäß Absatz 2 des vorliegenden Artikels wird für die zuständigen Behörden nach Zusammenstellung des Systems oder der Behandlungseinheit so lange zur Verfügung gehalten, wie für die kombinierten Produkte gemäß Artikel 10 Absatz 8 erforderlich. Gelten für die Produkte unterschiedliche Zeiträume, ist der längste Zeitraum ausschlaggebend.
Konsolidierte MDR-Version vom 24.04.2020

1 Einführung

Die Regelung des Artikels 22 zu Systemen und Behandlungseinheiten ist keine Neuerung der MDR, sondern hat seine Vorläuferregelungen im bisherigen Recht. Diese fanden sich in Artikel 12 der Richtlinie 93/42/EWG auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene sowie in § 10 MPG auf nationaler Ebene. Eine Parallelregelung zu Systemen und Behandlungseinheiten in der IVDR existiert jedoch nicht, was in der Praxis Fragen aufwirft (s. Abschn. 3.2).
Deutlich offener als alte Richtlinie
Im Vergleich zu ihren Vorläuferregelungen verfolgt Artikel 22 MDR zwar grundsätzlich die gleiche Systematik, zeigt sich aber im Detail im Hinblick auf diejenigen Systeme und Behandlungseinheiten, die keine eigenständige Konformitätsbewertung als eigenes Produkt benötigen (privilegierte Systeme und Behandlungseinheiten nach Absatz 1) deutlich offener als seine Vorgängerregelung in Artikel 12 Absatz 2 S. 1 der Richtlinie 93/42/EWG. Artikel 22 MDR darf daher für sich in Anspruch nehmen, eine der wenigen Liberalisierungen darzustellen, die die MDR im Vergleich zum bisherigen Medizinprodukterecht mit sich bringt (s. Abschn. 3).
Die Regelung hat daher im Zuge des im Übrigen kontrovers geführten Gesetzgebungsverfahrens auf europäischer Ebene und auch in den intensiven nationalen Diskussionen vor und nach Geltungserlangung der MDR zu Unrecht ein Schattendasein gefristet.
Zusätzliche Verpflichtungen auf Handelsebene
Ziel der medizinprodukterechtlichen Regelungen zu Systemen und Behandlungseinheiten ist der Umstand, dass es sachgerecht ist, auf Handelsebene zusätzliche Verpflichtungen für diejenigen Wirtschaftsakteure zu begründen, die sich nicht darauf beschränken, einzelne Medizinprodukte isoliert und ohne Verbindung zu anderen auf dem Markt bereitzustellen, sondern gezielt zur Bedienung einer entsprechenden Nachfrage Gesamtpakete im Sinne von maßgeschneiderten Lösungen für die Patientensicherheit [1] anbieten.
Die damit zumindest implizit verbundene Aussage zur Kompatibilität der einzelnen Produkte untereinander rechtfertigt die Festlegung von Pflichten für die Hersteller solcher Systeme und Behandlungseinheiten, die über die allgemeinen Pflichten eines Händlers nach Artikel 14 MDR (s. Kap. 02014) oder eines Importeurs nach Artikel 13 MDR (s. Kap. 02013) hinausgehen.
„Spiegelbild” zu Artikel 16
Man kann Artikel 22 MDR aufgrund seiner Ausrichtung gewissermaßen als Spiegelbild zu der umfangreich diskutierten Regelung des Artikel 16 MDR (s. Kap. 02016) verstehen, der unter dem Gesichtspunkt der Vereinzelung regelt, unter welchen Voraussetzungen Gesamtpakete von Medizinprodukten reduziert werden können, während Artikel 22 MDR bestimmt, welche Voraussetzung an die Gestaltung von Gesamtpaketen angelegt werden.
Produktkombinationen ein und desselben Herstellers
Kein Bedarf für die Anwendbarkeit von Artikel 22 MDR besteht allerdings, wenn das System oder die Behandlungseinheit ausschließlich aus Produkten ein und desselben Herstellers besteht, die dieser von vornherein zusammen abgibt. In diesem Fall werden die zusätzlichen Anforderungen des Artikels 22 MDR bereits durch das Konformitätsbewertungsverfahren (Anhang I Ziffer 14.1 MDR, s. Kap. 02201, 3.3.1) des einheitlichen Herstellers mit abgedeckt, sodass es keiner Anwendung von Artikel 22 MDR bedarf (s. Abschn. 3.3.5).
Typischer Bereich: stationäre Versorgung
Die Bedeutung der Regelung ist nicht unerheblich, da diverse Medizinprodukte nicht für sich genommen isoliert angewendet werden, sondern zumindest ihre vollumfängliche Zweckbestimmung erst im Zusammenspiel mit anderen (Medizin-) Produkten erreichen können. So werden typischerweise im Bereich der stationären Versorgung von Patienten in Krankenhäusern Produktkombinationen abgefragt, die einen ständig wiederkehrenden, spezifischen Versorgungsbedarf bedienen, der andernfalls im Rahmen der Beschaffung eine lästige und aufwändige Einzelbestellung der insoweit benötigten (Medizin-)Produkte notwendig machen würde. Dies umfasst insbesondere oft steril verpackte Medizinprodukte zum Einsatz im OP-Saal, wie Abdecktücher, Handschuhe, Tupfer, Zangen und auch chirurgische Instrumente.
Zentrale Regelung für „Kitpacker”
Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass sich eine speziell auf diesen Bereich spezialisierte Industrie herausgebildet hat, die den entsprechenden Bedarf bedient. Für diese rechtlich unpräzise oft als „Kitpacker” bezeichnete Unternehmen stellt Artikel 22 MDR die zentrale Regelung der Verordnung dar.
Obwohl der europäische Gesetzgeber die Vorgaben für privilegierte Systeme und Behandlungseinheiten in Artikel 22 Absatz 1 MDR liberalisiert hat, um dem Versorgungsbedarf von Gesundheitseinrichtungen gerecht zu werden und ungerechtfertigte regulatorische Hürden zu beseitigen, werden die Ersteller von Systemen und Behandlungseinheiten in der bisherigen Praxis mit Anforderungen konfrontiert, die sogar die bisherigen Wertungen der strengeren Vorgaben in Artikel 12 der Richtlinie 93/42/EWG überschreiten (s. Abschn. 4.1 „Ungerechtfertigte Forderungen” und s. Abschn. 4.2). Diese strengeren Vorgaben kommen insbesondere von Seiten ihrer Benannten Stelle, die im Rahmen der Sterilisation von Systemen und Behandlungseinheiten Artikel 22 Absatz 3 MDR hinzugezogen werden muss. Diese Tendenz ist bedenklich und sollte gestoppt werden, insbesondere im Hinblick auf die Versorgungssicherheit.

2 Systematik von Artikel 22 MDR

Die Systematik des Artikels ist im Vergleich zu ihren Vorgängerregelungen von seiner Grundstruktur her unverändert geblieben.

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