-- WEBONDISK OK --

02208 Anhang VIII MDR: Klassifizierungsregeln

Der Anhang XIII MDR gibt die Regeln zur Klassifizierung von Medizinprodukten vor um die Sicherheit und Wirksamkeit von Medizinprodukten auf dem EU-Markt zu gewährleisten. Die Klassifizierung basiert auf drei Kriterien: Dauer der Anwendung, Invasivität und Produktaktivität.
Die Kommentierung des umfangreichen Anhangs erfolgt sukzessive über mehrere Updates.
von:

1 Struktur

Anhang XIII MDR ist in drei Teile gegliedert:
Kapitel I Definitionen zu Klassifizierungsregeln
Kapitel II Durchführungsvorschriften
Kapitel III Klassifizierungsregeln
Insofern folgt dieser Aufbau dem, den auch die Richtlinie 93/42/EWG in Anhang IX vorsah, wenngleich dort von „Anwendungsregeln” anstatt Durchführungsvorschriften die Rede war. Im Gegensatz dazu enthält die Richtlinie 90/385/EG keinen vergleichbaren Klassifizierungsanhang, da für aktive implantierbare Produkte in der Richtlinie einheitlich hohe Anforderungen vorgesehen waren.

2 MDCG-Dokumente als Arbeitshilfen

Die Risikoklassifizierung ist Inhalt zweier Leitlinien der Medical Devices Coordination Group (MDCG):
MDCG 2021-24 „Guidance on classification of medical devices October 2021” und
MDCG 2019-11 „Guidance on Qualification and Classification of Software in Regulation (EU) 2017/745 – MDR and Regulation (EU) 2017/746 – IVDR”.
Inhalt dieser Leitlinien sind allgemeine Interpretationsansätze im Hinblick auf die Klassifizierung. Zu den einzelnen Regeln werden Beispiele genannt, die aber eine Überprüfung des konkreten Einzelfalls und damit eine eigene Klassifizierungsentscheidung des Herstellers nicht obsolet machen. Von dieser Guideline zu unterscheiden ist das sogenannte „Manual on Borderline and Classification”, in dem die Ergebnisse von Anfragen im Rahmen des sogenannten „Helsinki-Verfahrens” veröffentlicht werden (s. Kap. 02051, 2.2.4).
Die Leitlinien sind hier als Arbeitshilfen angehängt, sodass Sie sie bequem direkt öffnen und parallel zum Beitragstext lesen können.[ MDCG_2021-24.pdf][ MDCG_2019-11.pdf]

3 Kapitel I: Definitionen zu Klassifizierungsregeln

Kapitel I in Anhang VIII MDR enthält Definitionen, die für die Anwendung der Klassifizierungsregeln notwendig sind. Diese Begriffsbestimmungen ergänzen die Definitionen in Artikel 2 MDR für den konkreten Bereich der Klassifizierung. Auch die Richtlinie 93/42/EWG sah in Anhang IX eine Liste an Definitionen außerhalb des sogenannten Verfügungsteils (also dem Artikelteil einer Richtlinie oder Verordnung) vor, insofern ist der Europäische Gesetzgeber dieser Systematik treu geblieben. Andersherum wird diese Liste wiederum ergänzt um Begriffe des „allgemeinen” Definitionskatalogs in Artikel 2 MDR, der beispielsweise Begriffe wie
„aktives Produkt” (Nr. 4),
„implantierbares Produkt” (Nr. 5) oder
„invasives Produkt” (Nr. 6)
definiert. Da diese Begriffe nicht nur auf die Risikoklassifizierung Einfluss haben, sondern darüber hinaus auch für andere rechtliche Konsequenzen und Verpflichtungen der handelnden Akteure relevant werden, sind sie gleichsam vor die Klammer gezogen worden.
In den Definitionen spiegeln sich die Kriterien wider, die entscheidenden Einfluss auf die Risikoklassifizierung von Medizinprodukten haben, nämlich
(1)
Anwendungsdauer,
(2)
Anwendungsort (Invasivität) und
(3)
Produktaktivität.

3.1 Dauer der Anwendung

Die zeitlichen Maßstäbe, die die Dauer der Anwendung unterteilen, haben sich gegenüber dem Richtlinienrecht nicht verändert. Weiterhin wird – immer unter der Prämisse einer ununterbrochenen Anwendung (dazu weiter unten) unter normalen Bedingungen – unterschieden zwischen
„vorübergehend”: über einen Zeitraum von weniger als 60 Minuten
„kurzzeitig”: über einen Zeitraum zwischen 60 Minuten und 30 Tagen und
„langzeitig”: über einen Zeitraum von mehr als 30 Tagen.
Die MDCG-Guideline 2021-24 weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Dauer der Anwendung in bestimmten Fällen als Dauer der Wirkung betrachtet werden muss. Zum Beispiel kann das Auftragen einer topischen Creme auf die Haut selbst nur Sekunden dauern, die Creme hingegen kann viele Stunden lang an Ort und Stelle bleiben. Die Dauer der Anwendung sollte daher nicht als die Zeit betrachtet werden, die für das Auftragen des Produkts benötigt wird, sondern als die Dauer, während der das Produkt im oder am Körper verbleibt (MDCG 2021-24, S. 8, s. Abschn. 2).
Ununterbrochene Anwendung
Besondere Relevanz hat bei der Bewertung der Dauer die „Ununterbrochenheit” der Anwendung, die ebenfalls in Anhang VIII in den Durchführungsvorschriften (Kapitel II, 3.6) weiter spezifiziert wird. Auch die Richtlinie beschrieb eine ununterbrochene Anwendung [1], jedoch weniger detailreich als nun die MDR. Diese geht auf zwei Besonderheiten im Rahmen der ununterbrochenen Anwendung ein [2]:
Eine ununterbrochene Anwendung ist demnach auch dann anzunehmen, wenn eine vorübergehende Anwendungsunterbrechung oder eine vorübergehende Entfernung des Produkts vorgenommen wird und dasselbe Produkt sodann weiter angewendet wird. Als Beispiele dafür werden etwa Reinigung oder Desinfektion des Produkts genannt. Ob die Anwendungsunterbrechung oder das Entfernen vorübergehend ist, ist im Verhältnis zur Anwendungsdauer vor und nach dem Zeitraum, in dem die Anwendung unterbrochen oder das Produkt entfernt wird, festzustellen.So gilt etwa die Zeit, in der Kontaktlinsen über Nacht gereinigt und desinfiziert werden, als Unterbrechung der Anwendung des Produkts. Denn bei der Bestimmung der Anwendungsdauer ist nur die angegebene Zeitspanne des ununterbrochenen Tragens der Linse (z. B. 16 Stunden) zu berücksichtigen (MDCG 2021-24, S. 8, s. Abschn. 2).
Ebenfalls ist es eine ununterbrochene Anwendung, wenn vom Hersteller bestimmt wird, dass das Produkt unmittelbar durch ein anderes Produkt ersetzt wird. Diese „kumulierte Anwendung” des Produkts ist dann wiederum ausschlaggebend für die relevante Gesamtdauer der Anwendung. Wird einem Patienten beispielsweise dauerhaft oder über einen längeren Zeitraum ein Ureter-Katheter, etwa zur Überbrückung einer Ureterobstruktion durch Harnleitersteine oder andere Hindernisse eingesetzt und wird dieser zur Prävention von Katheter-assoziierten Harnwegsinfektionen regelmäßig – je nach Material und Indikation nach einigen Tagen bis hin zu wenigen Wochen – gewechselt, so sind die einzelnen Anwendungszeiträume zu addieren, um die Dauer der Anwendung zu bestimmen.Die Kumulierung der tatsächlichen Anwendung kann auch dazu führen, dass sich die Anwendungsdauer in regulatorischer Hinsicht im Ergebnis verkürzt: So kann beispielsweise ein Skalpell während einer Operation, die mehrere Stunden dauert, am selben Patienten verwendet werden. Die ununterbrochene Verwendung für den vorgesehenen Zweck – nämlich das Schneiden von Gewebe − dauert aber in der Regel nicht länger als ein paar Sekunden am Stück und ist selbst in der Summe regelmäßig unter 60 Minuten. Ein Skalpell ist somit ein Gerät für den vorübergehenden Gebrauch (MDCG 2021-24, S. 8, s. Abschn. 2).
Die MDCG formuliert im Hinblick auf die Dauer der Anwendung in ihrer Klassifizierungs-Guideline eine Beweislastregel und bestimmt: Wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass die Bestandteile des Produkts in der Zeit zwischen den Verwendungen vollständig beseitigt/abgesetzt („discontinued”) werden, gilt das ebenfalls als sofortiger Austausch und eine Verlängerung der kontinuierlichen Verwendung des Produkts. Dies könnte sich vor allem für stoffliche Medizinprodukte negativ auswirken, die damit nachweisen müssten, dass kein Produktbestandteil mehr im Körper verfügbar sein dürfte. Zum einen kann sich das aber allenfalls auf die „aktiven” Produktbestandteile beziehen, die für die Wirkung des Produkts verantwortlich sind. Zum anderen scheint ein Beweis des gänzlichen Nichtvorhandenseins wissenschaftlich kaum möglich.

3.2 Anwendungsort (Invasivität)

Die MDR definiert das „invasive Produkt” in Artikel 2 Nr. 6 als
„ein Produkt, das durch die Körperoberfläche oder über eine Körperöffnung ganz oder teilweise in den Körper eindringt;”
Insofern stimmt der Begriff mit der Richtlinien-Definition (Anhang IX, Kapitel I, Ziffer 1.2 RL 93/42/EWG) überein, wird aber von der MDR in die allgemeinen Definitionen des Artikels 2 vorangestellt [3]. Für betroffene Produkte der Richtlinie 90/385/EG war eine eigene Definition nicht erforderlich, da diese Produkte als „aktive implantierbare Produkte” immer zugleich auch invasive Produkte waren.

3.2.1 „Körperöffnung”

Eine Körperöffnung ist eine
„natürliche Öffnung des Körpers sowie die Außenfläche des Augapfels oder eine operativ hergestellte ständige Öffnung, wie z. B. ein Stoma”, Anhang VIII, Kapitel I, Abschnitt 2.1 MDR.
Diese Definition wurde gegenüber dem alten Recht insofern geändert, als es hier auf eine „Öffnung in der Haut” ankam. Praktische Relevanz dürfte diese Änderung kaum haben, da es bereits unter dem Richtlinienrecht nicht auf eine tatsächliche „Öffnung in der Haut” ankam, sondern auf eine Unterbrechung in der Kontinuität der Körperoberfläche, was sich nunmehr sprachlich auch in der MDR widerspiegelt.
Eine Körperöffnung kann auch operativ hergestellt sein. Beispielhaft wird in der MDR selbst das operativ hergestellte Stoma aufgeführt. Die in der Entwurfsfassung der MDR ebenfalls noch aufgeführte dauerhafte durch einen Luftröhrenschnitt hergestellte Körperöffnung („permanent tracheotomy”) wurde während des Gesetzgebungsverfahrens aufgrund eines Vorschlags des Rates der Europäischen Union wieder gestrichen, da sie als eine Unterform eines Stomas bereits mit dessen expliziter Erwähnung von der Definition erfasst ist (MDCG 2021-24, S. 8, s. Abschn. 2).
Voraussetzung für die Körperöffnung ist nach der Systematik des vorab dargestellten, dass tatsächlich in das Innere des Körpers eingetreten werden kann, sodass die Achselhöhle, der Zehenzwischenraum, der Bauchnabel oder die Ohrmuschel selbst noch keine Körperöffnungen sind. Anders als etwa der Gehörgang, weshalb ein dort eindringendes Produkt, wie etwa ein Fieberthermometer oder ein Otoskop, ein invasives Medizinprodukt ist [4].

3.2.2 „Chirurgisch-invasives Produkt"

Ein „chirurgisch-invasives Produkt” wird in Anhang VIII, Kapitel I, Ziffer 2.2. wie folgt weiter spezifiziert: als
a)
„ein invasives Produkt, das mittels eines chirurgischen Eingriffs oder im Zusammenhang damit durch die Körperoberfläche — einschließlich der Schleimhäute der Körperöffnungen — in den Körper eindringt und
b)
ein Produkt, das anders als durch eine Körperöffnung in den Körper eindringt.”
Gegenüber der Richtlinie wurde der Text unter a) durch den Einschub „einschließlich der Schleimhäute der Körperöffnungen” ergänzt und insoweit konkretisiert. Buchstabe b) wurde im Ergebnis im Sinne einer deutlich besseren Lesbarkeit umformuliert, jedoch inhaltlich nicht geändert.
MDCG 2021-24 konkretisiert dazu weiter, dass der Begriff des chirurgischen Eingriffs alle klinischen interventionellen Verfahren, bei denen ein Gerät durch die Körperoberfläche in den Körper eingeführt wird, umfasst. Ein chirurgisch invasives Produkt bedeutet daher immer, dass es durch eine künstlich geschaffene Öffnung eingeführt wird. Dabei kann es sich um eine große Öffnung handeln, wie z. B. einen chirurgischen Schnitt, oder um einen Nadelstich, der mit einer Nadel gesetzt wird. Daher, so die Koordinierungsgruppe, sind auch etwa chirurgische Handschuhe und Nadeln, die mit Spritzen verwendet werden, als chirurgisch invasiv zu werten (MDCG 2021-24, S. 9, s. Abschn. 2). Ebenso gilt dies für Bauchtücher, Kanülen, die zusammen mit Spritzen zum Einsatz kommen, chirurgisches Nahtmaterial oder Blutlanzetten.
Operativ hergestellte Körperöffnung
Relevant wird die Frage, ob es sich um eine durch einen chirurgischen Eingriff hergestellte Körperöffnung handelt, in der Abgrenzung zu „nur” invasiven Produkten. Letztere werden durch die natürliche Körperöffnung eingeführt. Den natürlich hergestellten Körperöffnungen werden insofern chirurgisch hergestellte gleichgestellt. So gilt ein chirurgisch angelegtes Stoma, das bei Urostomie, Kolostomie und Ileostomie oder permanenter Tracheostomie verwendet wird, als Körperöffnung; in der Folge sind Produkte, die in ein solches Stoma eingeführt werden, nicht chirurgisch invasiv (MDCG 2021-24, S. 9, s. Abschn. 2). Denn der bei der Herstellung der Körperöffnung erforderliche chirurgische Eingriff ist nicht Teil der Anwendung des Medizinprodukts. Diese wird mit einem gewissen – möglicherweise sehr geringem − zeitlichen Abstand in der Folge durch die Körperöffnung eingeführt. Trachealtuben oder Stoma-Systeme sind daher invasive Medizinprodukte [5].
Zugang zum Kreislaufsystem
Im Gegensatz dazu soll eine chirurgisch geschaffene Öffnung, die den Zugang zum Kreislaufsystem („circulatory system”) ermöglicht, nicht als Körperöffnung angesehen werden, so das MDCG 2021-24 in seinen Ausführungen zu den Definitionen des Anhangs VIII MDR (MDCG 2021-24, S. 9, s. Abschn. 2). Ob das hier referenzierte „Kreislaufsystem” vom „zentralen Kreislaufsystem”, das in der MDR in Anhang VIII, Kapitel I, Ziffer 2.6 definiert wird, zu unterscheiden ist, ist nicht klar. Der Begriff des „Kreislaufsystems” wurde bereits in der MEDDEV-Guideline 2.4/1 Rev. 9 (2010) zum Richtlinienrecht verwendet, ohne ihn weiter zu definieren. Jedoch erfasste schon das alte Recht (Anhang IX, Kapitel I, Ziffer 1.7 RL 93/42/EWG) und nunmehr auch die MDR (Anhang VIII, Kapitel I, Ziffer 2.6) unter „zentrales Kreislaufsystem” „nur” die folgenden Blutgefäße:
„arteriae pulmonales, aorta ascendens, arcus aortae, aorta descendens bis zur bifurcatio aortae, arteriae coronariae, arteria carotis communis, arteria carotis externa, arteria carotis interna, arteriae cerebrales, truncus brachiocephalicus, venae cordis, venae pulmonales, vena cava superior und vena cava inferior.”
Insofern dürfte der Begriff des „Kreislaufsystems” in der MEDDEV- und nunmehr in der MDCG-Guideline insgesamt weiter verstanden werden und jeglicher Zugang zu Blutgefäßen nicht als „operativ hergestellte Körperöffnung” verstanden werden [6]. Konsequenterweise sind damit alle in diesem Zusammenhang verwendeten Produkte chirurgisch-invasiv. Wird etwa ein Venenverweilkatheter in eine Vene in der Ellenbeuge, am Unterarm oder auf dem Handrücken eingelegt, die keine der oben genannten Venen ist, so wäre diese mit diesem Verständnis – wie bisher auch − ein chirurgisch-invasives Produkt. Sicherlich wäre dennoch eine Klarstellung, was in regulatorischer Hinsicht unter dem „Kreislaufsystem” in Abgrenzung zum „zentralen Kreislaufsystem” zu verstehen ist, hilfreich.
Invasivität des Produkts entscheidend
Die Invasivität ist schlussendlich nicht an den Auswirkungen des Produkts zu bewerten, sondern an der Invasivität des Produkts selbst. So sind Produkte, die ihre Wirkung zwar im Körper entfalten, selbst aber nicht in den Körper eingeführt werden, keine invasiven Produkte. Wird beispielsweise das Körperinnere durch ein MRT- Röntgen- oder Ultraschallgerät ausgeleuchtet, so handelt es sich regelmäßig nicht um invasive Produkte, es sei denn, die Ultraschallsonde selbst wird in die Körperöffnung eingeführt, so z. B. bei vaginalen Ultraschallsonden [7]. Dabei ist das Material des Produkts nicht entscheidend. „Chirurgisch invasiv” können damit auch Flüssigkeiten sein, die in invasivem Kontakt mit Organen, Geweben oder anderen Körperteilen stehen, wenn der Zugang für diese Flüssigkeiten durch eine chirurgisch hergestellte Öffnung erfolgt. Wundspüllösungen zum Freispülen des Operationsgebiets und zum Feuchthalten des Gewebes während operativer Eingriffe, die durch die chirurgisch hergestellte Öffnung eingebracht werden, sind demnach chirurgisch invasive Produkte (MDCG 2021-24, S. 9, s. Abschn. 2).

3.2.3 „Wiederverwendbares chirurgisches Instrument"

Durch die MDR unter Anhang VIII, Kapitel I, Ziffer 2.3 ebenfalls legal definiert wurde das „wiederverwendbare chirurgische Instrument”. Dabei handelt es sich um
„ein nicht in Verbindung mit einem aktiven Produkt eingesetztes, für einen chirurgischen Eingriff bestimmtes Instrument, dessen Funktion im Schneiden, Bohren, Sägen, Kratzen, Schaben, Klammern, Spreizen, Heften oder ähnlichem besteht und das nach Durchführung geeigneter Verfahren wie etwa Reinigung, Desinfektion und Sterilisation vom Hersteller für die Wiederverwendung bestimmt ist.”
Die Verordnung konkretisiert gegenüber dem Richtlinientext die Verfahren der Aufbereitung („Reinigung, Desinfektion und Sterilisation”), wenngleich diese aufgrund der vom Gesetzgeber verwendeten Formulierung „wie etwa” keine abschließende Aufzählung sein soll. Die darüber hinaus erfolgte Änderung ist durchaus von Belang. So bestimmte die Richtlinie 93/42/EWG in Anhang IX, Kapitel I, Ziffer 1.3, dass das Produkt nach entsprechenden Verfahren „wiederwendet werden kann”. In der Formulierung der MDR kommt nun der subjektive Teil der Zweckbestimmung und damit der Herstellerwille deutlicher zum Tragen: Ein Instrument soll dann chirurgisch wiederverwendbar sein, wenn es vom Hersteller für die Wiederverwendung bestimmt ist. Ist dies nicht der Fall und das Instrument folglich nur zum einmaligen Gebrauch bestimmt, ist eine Wiederaufbereitung nur unter den weiteren Voraussetzungen von Artikel 17 MDR und der darauf basierenden nationalen Vorgaben – soweit diese erlassen wurden − möglich.
Implantierbares Produkt
Die Begriffe „implantierbar” oder „implantierbares Produkt” sind – im Gegensatz zur Richtlinie 93/42/EWG (dort unter Anhang IX, Kapitel I, Ziffer 1.2.) – nicht mehr Bestandteil des Anhangs zur Klassifizierung. Vielmehr wurde er – wie zuvor bereits in der RL 90/385/EWG – vor die Klammer in den Verfügungsteil der Verordnung gezogen und in den allgemeinen Definitionskatalog aufgenommen. Da er aber eine wesentliche Rolle auch für die Klassifizierung von Medizinprodukten spielt, soll er an dieser Stelle aufgegriffen werden. Artikel 2 Nummer 5 MDR definiert ein „implantierbares Produkt” als ein solches,
„auch wenn es vollständig oder teilweise resorbiert werden soll, das dazu bestimmt ist, durch einen klinischen Eingriff
ganz in den menschlichen Körper eingeführt zu werden oder
eine Epitheloberfläche oder die Oberfläche des Auges zu ersetzen
und nach dem Eingriff dort zu verbleiben.
Als implantierbares Produkt gilt auch jedes Produkt, das dazu bestimmt ist, durch einen klinischen Eingriff teilweise in den menschlichen Körper eingeführt zu werden und nach dem Eingriff mindestens 30 Tage dort zu verbleiben;”
Klinischer Eingriff vs. chirurgischer Eingriff
Die Grundsystematik der Definitionen ist durch die MDR nicht verändert worden. In den Details hat der Gesetzgeber jedoch einige Änderungen gegenüber der Richtlinie vorgenommen, die zu einer nicht unerheblichen Ausweitung des Begriffs führen. Denn der ehemals zur Annahme eines implantierbaren Produkts erforderliche „chirurgische Eingriff” wurde nunmehr in einen „klinischen Eingriff” geändert, der freilich nun weiter zu verstehen ist. Unter Letzterem muss jeder Eingriff verstanden werden, der in einem klinischen Umfeld vorgenommen wird, wobei es sich dabei nicht um eine „Klinik” (Krankenhaus) im deutschen Sprachgebrauch handeln muss [8]. Nicht notwendigerweise ist dies also unter der MDR ein Eingriff im Rahmen einer Operation; der chirurgische Eingriff ist zwar ebenfalls weiterhin erfasst, jedoch sind beispielsweise auch zahnärztliche oder kieferorthopädische Eingriffe, die man nicht immer zwangsläufig als chirurgische Eingriffe verstanden hätte, nunmehr unter den klinischen Eingriff zu fassen.
Die Konsequenz ist, dass auch Produkte, die durch eben solche Eingriffe in den Körper eingeführt werden und die zumindest eine Verweildauer von über 30 Tage haben, implantierbare Produkte sind. Dies betrifft etwa Zahnfüllmaterialien, Zahnkronen oder -brücken etc. [9] Andersherum entfallen damit etwa Produkte, die in nicht klinischen Eingriffen in den Körper eingeführt werden, wie etwa Piercings oder Tattoos [10].
Handelt es sich bei dem Produkt also um ein solches, das dazu bestimmt ist, ganz in den menschlichen Körper eingeführt zu werden oder eine Epitheloberfläche oder die Oberfläche des Auges zu ersetzen und nach dem Eingriff dort zu verbleiben, wie etwa Hauttransplantate oder Intraocularlinsen, ist das Produkt nach den Grundsätzen der MDR implantierbar und muss – neben den entsprechenden Klassifizierungsregeln – auch alle weiteren Anforderungen der MDR für implantierbare Produkte erfüllen. Eine Implantierbarkeit soll nach der neuen Formulierung auch dann angenommen werden, wenn das Produkt vollständig oder teilweise resorbiert wird. Der Begriff „Resorption” soll sich in Zusammenhang mit implantierbaren Produkten auf den Abbau eines Stoffes im Körper und die metabolische Ausscheidung der entstehenden Abbauprodukte aus dem Körper beziehen und nicht etwa für Stoffe gelten, die unverändert aus dem Körper ausgeschieden werden, z. B. Insufflationsgase für die Bauchhöhle oder laparoskopische und endoskopische Verfahren (MDCG 2021-24, S. 13, s. Abschn. 2). Diese Produkte sind damit nicht implantierbare Medizinprodukte, wohingegen resorbierbares Nahtmaterial oder aber ein Stent unter die Definition fallen.
Verbleib im Körper
Keine neue Diskussion unter der MDR ist diejenige, wie die zeitliche Komponente, die durch die Formulierung „nach dem Eingriff dort zu verbleiben” Teil der Definition ist, zu verstehen ist. Diese Diskussion ist in der englischen Textfassung angelegt und dürfte ihren Ursprung in der bereits im Richtlinienrecht verwendeten Formulierung „to remain in place after the procedure” angelegt sein, der sich auf eine fortlaufende klinische Prozedur im Sinne einer allgemeinen Behandlung beziehen könnte. Diesbezüglich wird in der MDCG-Guidance klargestellt, dass mit dem Begriff „procedure” derjenige „Eingriff” verstanden werden soll, bei dem das Implantat in den Körper eingesetzt wird, sowie die unmittelbare postoperative Versorgung, die mit dem Eingriff verbunden ist. Das „Verfahren” erstreckt sich nicht auf den Abschluss der therapeutischen Behandlung, d. h., die Entfernung eines Implantats ist als ein weiteres „Verfahren” zu betrachten. So ist eine Platte, die zur Fixierung eines Knochenbruchs verwendet wird und nach dem Eingriff mindestens 30 Tage lang an Ort und Stelle verbleibt, ein Implantat, auch wenn sie nach der Heilung des Bruchs wieder entfernt wird. In diesem Fall sind das Einsetzen der Platte und ihre Entnahme zwei verschiedene Eingriffe (MDCG 2021-24, S. 10, s. Abschn. 2).
Teilimplantierte Produkte
Als implantierbar gelten auch solche Produkte, die dazu bestimmt sind, teilweise in den menschlichen Körper eingeführt zu werden und dort mindestens 30 Tage zu verbleiben (Geltungsimplantate). Somit sind etwa auch Produkte, die aus dem Körper austreten, wie etwa Trachealkanülen, Wundabsaugschläuche oder Platten und Stangen zur Behandlung komplexer Knochenbrüche Implantate im Sinne der Definition, wenn sie mindestens 30 Tage im Körper verbleiben. Wird beispielsweise eine Operation durchgeführt, um einen Infusionsanschluss in den Körper zu legen, der nach dem Eingriff mindestens 30 Tage lang an Ort und Stelle verbleibt, wäre ein solcher Infusionsanschluss ein Implantat. Ein nicht getunnelter zentraler Venenkatheter, der für einen vorübergehenden Gefäßzugang bestimmt ist und nach 7 bis 10 Tagen wieder entfernt werden soll, ist jedoch kein implantierbares Produkt. Auch ein Nahtmaterial, das für den Verschluss von Hautwunden verwendet wird und vor Ablauf von 30 Tagen entfernt werden soll, gilt nicht als Implantat (MDCG 2021-24, S. 10, s. Abschn. 2).

3.3 Produktaktivität

Neben der Anwendungsdauer und der Invasivität ist die Aktivität des Produkts das dritte grundlegende Kriterium für die Klassifizierung von Medizinprodukten. Auch diesbezüglich enthält die MDR eine Reihe von relevanten Definitionen, die ihren „Ausgangspunkt” ebenfalls zunächst in Artikel 2 MDR haben. In Nr. 4 wird dort ein „aktives Produkt” definiert als
„ein Produkt, dessen Betrieb von einer Energiequelle mit Ausnahme der für diesen Zweck durch den menschlichen Körper oder durch die Schwerkraft erzeugten Energie abhängig ist und das mittels Änderung der Dichte oder Umwandlung dieser Energie wirkt. Ein Produkt, das zur Übertragung von Energie, Stoffen oder anderen Elementen zwischen einem aktiven Produkt und dem Patienten eingesetzt wird, ohne dass dabei eine wesentliche Veränderung von Energie, Stoffen oder Parametern eintritt, gilt nicht als aktives Produkt.
Software gilt ebenfalls als aktives Produkt;”
Die Definition des „aktiven Produkts” wurde mit der MDR in den verfügenden (Artikel-)Teil der Verordnung vorangestellt, da er neben der Klassifizierung Ausgangspunkt für weitere Pflichten insbesondere der Hersteller solcher Produkte ist [11]. Auch in der Verordnung 90/385/EWG wurde er (in Artikel 1 Absatz 2b) bereits legal definiert. Die Richtlinie 93/42/EWG sah ihn in den Definitionen in Anhang IX (unter Abschnitt 1.4) vor.
Energiequelle
Die Definition eines aktiven Medizinprodukts sieht als erste Voraussetzung vor, dass dessen Betrieb „von einer Energiequelle” abhängig ist. Hier sprachen die Richtlinie 90/385/EWG von einer „elektrischen Energiequelle oder einer anderen Energiequelle”, die Richtlinie 93/42/EWG referenzierte „eine Stromquelle oder andere Energiequelle”. Die Änderung ist insofern jedoch inhaltlich ohne Belang, als die „elektrische Energiequelle” und „Stromquelle” auf jeden Fall auch allgemein unter die in der MDR verbleibende „Energiequelle” gefasst werden können. Der Betrieb muss allgemein von einer Energiequelle abhängen, sodass auch Produkte, die etwa auf der Basis von pneumatischer oder chemischer Energie funktionieren unter diese Definition fallen.
Energie aus menschlichem Körper
Auch die Zufuhr von Energie aus dem menschlichen Körper kann dazu führen, dass ein Produkt als aktives Produkt einzuordnen ist. Zu beachten ist jedoch, dass nicht jegliche Energie aus dem menschlichen Körper, die etwa aufgewendet werden muss, um das Gerät grundsätzlich zu bedienen, das Gerät zu einem „aktiven” macht. Diesbezüglich besagt die Definition, dass die „für diesen Zweck durch den menschlichen Körper oder die Schwerkraft erzeugte Energie” von der Annahme eines aktiven Produkts ausgenommen ist. Anders ist dies aber zu beurteilen, wenn die vom menschlichen Körper aufgewendete Energie im Produkt zur späteren Freisetzung gespeichert wird. So macht etwa die von einem menschlichen Muskel erzeugte und auf den Kolben einer Spritze übertragene Energie (und damit die Abgabe einer Substanz an einen Patienten) diese Spritze nicht zu einem aktiven Produkt. Ebenso wenig wird das Nasenspray durch die Betätigung des Pumpmechanismus zu einem aktiven Produkt. Wenn jedoch ein System zur Verabreichung von Arzneimitteln davon abhängt, dass eine Feder von Hand aufgezogen wird, um sie vorzuspannen, und sie anschließend losgelassen wird, um eine Substanz abzugeben, dann ist die Vorrichtung, die die Feder enthält, eine aktive Vorrichtung. Ein weiteres Beispiel für eine aktive Vorrichtung sind Elastomerpumpen, bei denen die Energie des menschlichen Körpers in der gedehnten Elastomerschicht gespeichert wird (MDCG 2021-24, S. 11, s. Abschn. 2).
Energieumwandlung
Das zweite Merkmal der Definition betrifft die Energieumwandlung, also die Nutzung der oben beschriebenen Energie bei der Wirkung des Produkts, die auf einer Änderung von Dichte oder Umwandlung der Energie basieren muss [12]. Der Begriff „durch Energieumwandlung wirken” umfasst die Umwandlung von Energie im Produkt und/oder die Umwandlung an der Schnittstelle zwischen dem Produkt und dem Gewebe oder im Gewebe. Elektroden, die für EKG oder EEG bestimmt sind, werden in der Regel nicht als aktive Produkte betrachtet, da sie normalerweise nicht durch Energieumwandlung wirken. [13]
Satz 2 der Definition grenzt den Anwendungsbereich der aktiven Produkte sodann weiter ein, indem dort bestimmt wird, dass ein Produkt, das zur Übertragung von Energie, Stoffen oder anderen Elementen zwischen einem aktiven Produkt und dem Patienten eingesetzt wird, ohne dass dabei eine wesentliche Veränderung von Energie, Stoffen oder Parametern eintritt, nicht als aktives Produkt gilt. Der Begriff der wesentlichen Änderung der Energie soll gemäß den Ausführungen in der Leitlinie MDCG 2021-24 Änderungen der Art, des Niveaus und der Dichte der Energie erfassen. Die Koordinierungsgruppe referenziert diesbezüglich auf Regel 9 (MDCG 2021-24, S. 11, s. Abschn. 2). Das bedeutet, dass z. B. eine Elektrode nach diesem Klassifizierungssystem nicht als aktives Gerät gilt, solange die zugeführte Energie der abgegebenen Energie entspricht. Ein Widerstand in einem Draht, der nur geringfügige Änderungen zwischen Eingang und Ausgang verursacht, kann nicht als „wesentliche Änderung” angesehen werden. Elektroden, die in der Elektrochirurgie zum Schneiden von Gewebe oder zum Kauterisieren verwendet werden, sind jedoch aktive Produkte, da ihr Betrieb von der durch einen Generator bereitgestellten Energie abhängt und ihre Wirkung durch die Umwandlung von Energie an der Schnittstelle zwischen dem Produkt und dem Gewebe oder im Gewebe erzielt wird.
Software
Auch Software fällt bereits qua Definition in den Anwendungsbereich der aktiven Medizinprodukte und zwar unabhängig davon, ob durch die Software für ihre Wirkung eine Änderung in Hinblick auf Art, Niveau oder Dichte erfährt. [14]
In den Definitionen des Anhang VIII MDR werden aktive Produkte weiter unterteilt in „aktive therapeutische Produkte” (Anhang VIII, Kapitel I, Ziffer 2.4 MDR) und „aktive Produkte zu Diagnose- und Überwachungszwecken” (Anhang VIII, Kapitel I, Ziffer 2.5 MDR). Diese Begriffe haben allein für die Klassifizierung von Medizinprodukten Relevanz, sodass sie nur in diesem Zusammenhang definiert werden. Beide Begriffe wurden bereits in der Richtlinie 93/42/EWG verwendet und die dortigen Definitionen (Anhang IX, Kapitel I, Ziffern 1.5 und 1.6) inhaltlich nahezu unverändert übernommen.

3.3.1 „Aktives therapeutisches Produkt"

Anhang VIII, Kapitel I, Abschnitt 2.4 MDR: „‚Aktives therapeutisches Produkt’ bezeichnet ein aktives Produkt, das entweder getrennt oder in Verbindung mit anderen Produkten verwendet wird und dazu bestimmt ist, biologische Funktionen oder Strukturen im Zusammenhang mit der Behandlung oder Linderung einer Krankheit, Verwundung oder Behinderung zu erhalten, zu verändern, zu ersetzen oder wiederherzustellen.
Neben den oben genannten Merkmalen für ein aktives Medizinprodukt muss ein aktives therapeutisches zudem biologische Funktionen, wie etwa Atmung, Kreislauf, Nierenfunktion, oder Strukturen, wie zum Beispiel die Struktur des Knochenbaus, der Zähne oder der Ohren, erhalten, verändern, ersetzen oder wiederherstellen. Beispielhaft genannt seien dafür: Beatmungs- oder Narkosegeräte, Herz-Lungen-Maschinen, Insulinpumpen, Dialysegeräte, Hörgeräte, Laser-Chirurgiegeräte oder Ultraschall-Reinigungsgeräte zur Entfernung von Zahnbelägen [15].

3.3.2 „Aktives Medizinprodukt zu Diagnose- und Überwachungszwecken"

Anhang VIII, Kapitel I, Abschnitt 2.5. MDR: „‚Aktives Medizinprodukt zu Diagnose- und Überwachungszwecken’ bezeichnet ein aktives Produkt, das entweder getrennt oder in Verbindung mit anderen Produkten verwendet wird und dazu bestimmt ist, Informationen für die Erkennung, Diagnose, Überwachung oder Behandlung von physiologischen Zuständen, Gesundheitszuständen, Erkrankungen oder angeborenen Missbildungen zu liefern.
Für die Annahme eines aktiven Medizinprodukts zu Diagnose- und Überwachungszwecken muss wiederum zusätzlich zu den oben genannten Merkmalen des aktiven Produkts durch dieses – gegebenenfalls im Zusammenspiel mit anderen Produkten – Informationen für die Erkennung, Diagnose, Überwachung oder Behandlung geliefert werden. Die MDR konkretisiert im Folgenden (Anhang VIII, Kapitel II, Ziffer 3.7) ein „Produkt, das eine direkte Diagnose ermöglicht” als solches, das die Diagnose der betreffenden Krankheit oder des betreffenden Gesundheitszustands selbst liefert oder aber für die Diagnose entscheidende Informationen hervorbringt. Diese Unterscheidung wird relevant für die Klassifizierung selbst (Regel 9).

3.4 Anatomisch (besonders) sensible Körperregionen

Ein weiteres Kriterium, das für die Klassifizierung (Regeln 6–8) relevant wird, betrifft die Anwendung von Produkten an anatomisch besonders sensiblen Körperregionen. Dies sind – wie bereits unter Richtlinienrecht – das „Zentrale Kreislaufsystem”:
Zentrales Kreislaufsystem
„‚Zentrales Kreislaufsystem’ bezeichnet die folgenden Blutgefäße: arteriae pulmonales, aorta ascendens, arcus aortae, aorta descendens bis zur bifurcatio aortae, arteriae coronariae, arteria carotis communis, arteria carotis externa, arteria carotis interna, arteriae cerebrales, truncus brachiocephalicus, venae cordis, venae pulmonales, vena cava superior und vena cava inferior.” (Abschnitt 2.6)
und das „Zentrale Nervensystem”:
Zentrales Nervensystem
„‚Zentrales Nervensystem’ bezeichnet das Gehirn, die Hirnhaut und das Rückenmark.” (Abschnitt 2.7)
Zuletzt wird unter Anhang VIII, Kapitel I, Ziffer 2.8, der Begriff der ‚Verletzten Haut’ definiert:
Verletzte Haut
„‚Verletzte Haut oder Schleimhaut’ bezeichnet einen Bereich der Haut oder Schleimhaut, der eine pathologische Veränderung oder eine Veränderung infolge einer Erkrankung oder eine Wunde aufweist.” (Abschnitt 2.8)
Die „verletzte Haut” war bereits unter der Richtlinie 93/42/EWG Ausgangspunkt für die Klassifizierung auf Grundlage von Regel 4, wurde dort allerdings nicht definiert. Nunmehr wurde diese in den Klassifizierungsanhang aufgenommen und wird ebenfalls für Regel 4 des MDR-Anhangs VIII relevant.

4 Kapitel II: Durchführungsvorschriften

Die MDR formuliert in Anhang VIII, Kapitel II Durchführungsvorschriften für die Anwendung der Klassifizierungsregeln. Diese sah auch die Richtlinie 93/42/EWG in Anhang IX, Kapitel II, jedoch unter dem Begriff „Anwendungsregeln” vor.

4.1 Zweckbestimmung

Abschnitt 3.1.
„3.1. Die Anwendung der Klassifizierungsregeln richtet sich nach der Zweckbestimmung der Produkte.”
Keine Veränderung gegenüber der Richtlinie 93/42/EWG. Siehe dazu Kommentierung zu Artikel 51 MDR (s. Kap. 02051, 2.1).

4.2 Anwendung in Verbindung mit einem anderen Produkt

Abschnitt 3.2.
3.2. Wenn das betreffende Produkt dazu bestimmt ist, in Verbindung mit einem anderen Produkt angewandt zu werden, werden die Klassifizierungsregeln auf jedes Produkt gesondert angewendet. Zubehör für ein Medizinprodukt und für ein in Anhang XVI aufgeführtes Produkt wird unabhängig von dem Produkt, mit dem es verwendet wird, gesondert klassifiziert.”
Die zweite Durchführungsvorschrift hat sich gegenüber der korrespondierenden Anwendungsregel 2 der Richtlinie 93/42/EWG nur insoweit geändert, als in Satz 2 die in Anhang XVI MDR aufgeführten Produkte ohne medizinischen Verwendungszweck mit einbezogen wurden. Diese existierten unter dem alten Rechtsregime noch nicht.
Die Durchführungsvorschrift erfasst Produkte, die bestimmungsgemäß mit anderen Produkten (in diesem Fall Medizinprodukten oder Zubehör) angewendet werden. Die gemeinsame Anwendung führt indes nicht dazu, dass sich die Risikoklasse nach nur einem (Haupt-)Produkt richtet. Vielmehr wird jedes einzelne Produkt separat beurteilt und klassifiziert. Dies hat auch zur Konsequenz, dass Zubehör getrennt von dem mit diesem Zubehör anzuwendenden Produkt in den Verkehr gebracht werden kann. Der Hersteller hat im Rahmen der Zweckbestimmung die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, inwieweit er ein Medizinprodukt als einzelnes Produkt oder als Teil einer Kombination mit anderen Bestandteilen in den Verkehr bringen will [16].

4.3 Software

Abschnitt 3.3.
„3.3. Software, die ein Produkt steuert oder dessen Anwendung beeinflusst, wird derselben Klasse zugerechnet wie das Produkt. Ist die Software von anderen Produkten unabhängig, so wird sie für sich allein klassifiziert.”
Die dritte Durchführungsvorschrift widmet sich der Software und wird durch die MDR gegenüber der alten Rechtslage durch den zweiten Satz ergänzt, der sich auf die sogenannte „Stand-alone-Software” bezieht. Diese soll für sich klassifiziert werden, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist, da − wie in Satz 1 der Anwendungsregel vorausgesetzt − ja gerade kein anderes Produkt existiert, dessen Anwendung durch die Software beeinflusst wird oder das durch die Software gesteuert wird. Für Stand-alone-Software ist Regel 11 einschlägig, die integrale Software richtet sich nach der Klasse des „eigentlichen” Produkts.

4.4 Präziser Anwendungsort

Abschnitt 3.4.
„3.4. Wenn ein Produkt nicht dazu bestimmt ist, ausschließlich oder hauptsächlich an einem bestimmten Teil des Körpers angewandt zu werden, wird es nach der spezifizierten Anwendung eingeordnet, die das höchste Gefährdungspotenzial enthält.”
Auch diese Durchführungsvorschrift ist gegenüber der Richtlinie 93/42/EWG im Ergebnis inhaltlich unverändert geblieben. Sie hält den Hersteller im Ergebnis dazu an, seine Zweckbestimmung und damit verbunden den Anwendungsort so präzise wie möglich zu formulieren, um damit eine Positivabgrenzung zu allen anderen möglichen Einsatzgebieten zu schaffen. Tut er dies nicht, so wird die Anwendung herangezogen, die das höchste Gefährdungspotenzial mit sich bringt. Wird bei „chirurgischem Nahtmaterial mit einer Anwendungsdauer von kleiner als 30 Tage” keine weitere Konkretisierung zum Anwendungsort vorgenommen, so ist auch ein Einsatz am zentralen Kreislauf- oder Nervensystem nicht ausgeschlossen, sodass sich die Risikoklassifizierung nach diesen besonders sensiblen Körperregionen richtet (s. 3.4) [17].

4.5 Strengste Regel bestimmt die Klasse

Abschnitt 3.5.
„3.5. Wenn unter Berücksichtigung der vom Hersteller festgelegten Zweckbestimmung auf ein und dasselbe Produkt mehrere Regeln oder innerhalb derselben Regel mehrere Unterregeln anwendbar sind, so gilt die strengste Regel/Unterregel, sodass das Produkt in die jeweils höchste Klasse eingestuft wird.”
Um die richtige Klassifizierung für sein Produkt festzulegen, muss der Hersteller alle Regeln berücksichtigen. Dabei bestimmt die strengste Regel und Unterregel, die zur höchsten Einstufung führt, die Klasse. Möglicherweise ist eine der allgemeinen Regeln auf ein aktives Produkt anwendbar, wenngleich diese Regelungen eben nicht speziell für aktive Produkte gelten. Die Zweckbestimmung und alle Merkmale des Produkts müssen berücksichtigt werden. Das Merkmal oder die Kombination von Merkmalen, die der Zweckbestimmung des Produkts entspricht und in die höchste Klasse fällt, bestimmt die Klasse für das gesamte Produkt (MDCG 2021-24, S. 15, s. Abschn. 2).

4.6 Ununterbrochene Anwendung

Abschnitt 3.6.
„3.6. Zum Zwecke der Berechnung der Dauer gemäß Abschnitt 1 ist unter einer ununterbrochenen Anwendung Folgendes zu verstehen:
a)
die Gesamtdauer der Anwendung desselben Produkts unabhängig von einer vorübergehenden Anwendungsunterbrechung während eines Verfahrens oder einem vorübergehenden Entfernen des Produkts beispielsweise zu Reinigungs- oder Desinfektionszwecken. Ob die Anwendungsunterbrechung oder das Entfernen vorübergehend ist, ist im Verhältnis zur Anwendungsdauer vor und nach dem Zeitraum, während dessen die Anwendung unterbrochen oder das Produkt entfernt wird, festzustellen, und
b)
die kumulierte Anwendung eines Produkts, das vom Hersteller dafür bestimmt ist, unmittelbar durch ein Produkt gleicher Art ersetzt zu werden.”

4.7 Diagnostisches Produkt

Abschnitt 3.7.
„3.7. Ein Produkt wird als Produkt angesehen, das eine direkte Diagnose ermöglicht, wenn es die Diagnose der betreffenden Krankheit oder des betreffenden Gesundheitszustandes selbst liefert oder aber für die Diagnose entscheidende Informationen hervorbringt.”

Quellen

1
Mit der Richtlinie 2007/47/EG wurde in Anhang IX, Kapitel II die nachfolgende Ziffer 2.6. neu aufgenommen: „Bei der Berechnung der Dauer nach Kapitel I Abschnitt 1.1 bedeutet ununterbrochene Anwendung eine tatsächliche ununterbrochene Anwendung des Produkts gemäß seiner Zweckbestimmung. Wird die Anwendung eines Produkts unterbrochen, um das Produkt unverzüglich durch dasselbe oder ein identisches Produkt zu ersetzen, gilt dies als Fortführung der ununterbrochenen Anwendung des Produkts.
2
Der Gesetzestext verbindet die beiden unter a) und b) genannten Spezifikationen einer ununterbrochenen Anwendung in Ziffer 3.6. mit einem „und”. Jedoch ist dies nicht dahingehend zu verstehen, dass beide genannten Fallkonstellationen kumulativ erfüllt werden müssen. Vielmehr handelt es sich um zwei verschiedene Fallgruppen.
3
Die Unterscheidung in invasive und nicht invasive Produkte hat über die Klassifizierung hinaus auch Relevanz bei klinischen Prüfungen und den allgemeinen Sicherheits- und Leistungsanforderungen, insofern ist die Aufnahme in den vorliegenden Artikelteil der Verordnung konsequent.
4
Lücker in Lücker/Baumann, Artikel 2/Rn. 6.3.
5
Dies hat sich gegenüber der früheren Rechtslage und deren Auslegung in der Guideline für die Classification of Medical Devices, MEDDEV 2.4/1 Rev. 9–6/210 nicht geändert; die Ausführungen der MEDDEV-Guideline entsprechen hier denen der MDCG.
6
Dies kann auch aus der Systematik der Definitionen der MDR in Anhang VIII hergeleitet werden. Kapitel I endet mit der Auflistung von anatomisch (besonders) sensiblen Körperregionen (zentrales Kreislaufsystem, zentrales Nervensystem und verletzte Haut), die im Folgenden in den Klassifizierungsregeln besonders berücksichtigt werden. Sie sollten aber wohl keine Rolle spielen bei der Frage, ob es sich bei einer operativ hergestellten Öffnung auch um eine Körperöffnung handelt.
7
Lücker in Lücker/Baumann, Artikel 2/Rn. 6.6.
8
Lücker in Lücker/Baumann, Artikel 2/Rn. 5.4.
9
Um die Tragweite der Einstufung als „implantierbare” Medizinprodukte etwas abzumildern hat der Gesetzgeber an verschiedenen Stellen der MDR Erleichterungen und Ausnahmen von den Verpflichtungen formuliert. So ist kein Implantationsausweis für diese Produkte notwendig, Artikel 18 Absatz 3 MDR und unter bestimmten Voraussetzungen muss keine klinische Prüfung vorgenommen werden, deren Durchführung für implantierbare Produkte grundsätzlich die Regel ist, Artikel 61 Absatz 6 MDR.
10
Lücker in Lücker/Baumann, Artikel 2/Rn. 5.4.
11
Neben weiteren Pflichten in der MDR wird der Begriff des aktiven Medizinprodukts auch im nationalen Recht relevant. Für aktive nicht implantierbare Medizinprodukte hat der Gesetzgeber die Pflicht einer dokumentierten Einweisung in § 4 Absatz 3 MPBetreibV geregelt; weitere Betreiberpflichten gelten gemäß § 10 MPBetreibV für konkrete in Anlage 1 zur MPBetreibV genannte aktive Medizinprodukte.
12
Siehe MDCG 2021-24, S. 10.
13
Frankenberger in: Anhalt/Dieners, § 4/Rn. 58.
14
Lücker in Lücker/Baumann, Artikel 2/Rn. 4.7.
15
Frankenberger in Anhalt/Dieners, § 4/Rn. 61.
16
Frankenberger in Anhalt/Dieners, § 4/Rn. 75.
17
Frankenberger in Anhalt/Dieners, § 4/Rn. 79.
 

Weiterlesen und „Praxis Medizinprodukterecht digital“ 4 Wochen gratis testen:

  • Praxisnahe Erläuterungen zur Umsetzung von MDR und MPBetreibV
  • Alle relevanten Rechtsgrundlagen in aktueller Version
  • Onlinezugriff – überall verfügbar


Sie haben schon ein Abonnement oder testen bereits? Hier anmelden

Ihre Anfrage wird bearbeitet.
AuthError LoginModal